Was zur

Ein Beitrag von Hannah

eigene Aufnahme

„DIE KUNST IST DAS BILD DES MENSCHEN SELBST. DAS HEISST, INDEM DER MENSCH MIT DER KUNST KONFRONTIERT IST, IST ER IM GRUNDE MIT SICH SELBST KONFRONTIERT.“ – JOSEPH BEUYS

(daskreativeuniversum.de 2019)

Einleitendes

Die Kunst und ihre Freiheit sind ein gesellschaftliches Gut, das im Grundgesetz, ebenfalls wie die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit, in Artikel 5 geschützt ist. Ihr Status ist für die Demokratie demnach von hoher gesellschaftlicher und juristischer Bedeutung. Doch, dass die Kunst völlig frei von jeglichen Einschränkungen ist und mit ihr ein Raum der unbegrenzten Möglichkeiten entsteht, ist ein Trugschluss. Erst in diesem Jahr entfachte eine weltweite Diskussion um die Ausstellung des Gemäldes „People’s Justice“ von der Künstler:innengruppe „Taring Padi“, das im Rahmen der Documenta auf dem Friedrichsplatz in Kassel platziert wurde. Den Vorwürfen zufolge, beinhalte das Gemälde unübersehbare antisemitische Bildsprache. Zunächst wurde, wie auf dem Foto zu sehen ist, das Gemälde mit einem schwarzen Tuch verhüllt und schließlich aufgrund des öffentlichen Drucks komplett von der Ausstellung entfernt. (vgl. daserste.de 2022)

taz.de

Bereits vor der Eröffnung wurde über den Vorwurf diskutiert, ob das Kurator:innen-Kollektiv „Ruangrupa“, eine Gruppe bestehend aus Aktivist:innen und Künstler:innen aus Indonesien, Künstler:innen fördere, die die Boykottierung Israels bestreben. Mit einem offenen Brief versuchte die Gruppe den Vorwürfen etwas entgegenzusetzen. Sabine Schürmann, die (nun ehemalige) Geschäftsführerin der Documenta, meinte, dass bitte bis zur Eröffnung abzuwarten sei und grundsätzlich die Meinung- und Kunstfreiheit gelte. Als zunächst nur die Vorwürfe im Raum standen, fragte Claudia Roth ebenfalls nach Beweisen. Doch als das Gemälde in Kassel veröffentlicht wurde, verlangte sie, dass die Vorkommnisse lückenlos aufgeklärt werden müssten. (vgl. daserste.de 2022)

Hintergründe zum Künstler:innenkollektiv

Das Gemälde „People’s Justice“ wurde von dem Künstler:innenkollektiv „Taring Padi“ („Reisszähne“) geschaffen. Ihr Ziel ist es unterdrückte Gruppen sichtbar zu machen. Das Bild ist bereits 20 Jahre alt und wurde gemeinschaftlich angefertigt. Es wurde schon zuvor mehrere Male ausgestellt. Thema des Bildes sind die indonesischen Freiheitskämpfe, die zum Ende der Suharto-Diktatur, stattgefunden haben. Die Gruppe selbst sagt, der Grund dafür, dass die Motive antisemitisch gedeutet werden könnten, sei ein interkulturelles Problem. (vgl. daserste.de 2022) Die nachfolgenden Fotos zeigen Ausschnitte aus dem Bild.

Ein weiteres Beispiel für den Diskurs darüber was Kunst darf und was nicht, ist das Gedicht „Schmähkritik“ über den türkischen Staatschef Erdogan von Jan Böhmermann aus dem Jahr 2016. Darin unterstellte Böhmermann Erdogan unteranderem Sodomie und Pädophilie. Dagegen klagte Erdogan, der das komplette Verbot des Gedichtes bestrebte. Gerichtlich wurden schließlich Teile des Gedichts verboten. Dabei standen die Kunst- bzw. die Meinungsfreiheit von Böhmermann mit den Persönlichkeitsrechten von Erdogan in Konflikt. (vgl. tagesschau.de 2022)

Massenmediale Behandlung des Diskurses

Die Documenta gilt weltweit als bedeutendste Kunstausstellung für zeitgenössische Kunst (vgl. Kassel.de). Daher wurde dem Skandal um das Bild und die Documenta weltweit große massenmediale Aufmerksamkeit zuteil. Unter Massenmedien versteht Luhmann Folgendes:

„MIT DEM BEGRIFF DER MASSENMEDIEN SOLLEN IM FOLGENDEN ALLE EINRICHTUNGEN DER GESELLSCHAFT ERFAßT WERDEN, DIE SICH ZUR VERBREITUNG VON KOMMUNIKATION TECHNISCHER MITTEL DER VERVIELFÄLTIGUNG BEDIENEN. VOR ALLEM IST AN BÜCHER, ZEITSCHRIFTEN, ZEITUNGEN ZU DENKEN, DIE DURCH DIE DRUCKPRESSE HERGESTELLT WERDEN; ABER AUCH AN PHOTOGRAPHISCHE ODER ELEKTRONISCHE KOPIERVERFAHREN JEDER ART, SOFERN, SIE PRODUKTE IN GROßER ZAHL MIT NOCH UNBESTIMMTEN ADRESSATEN ERZEUGEN.“ (LUHMANN 2017: 10).

Dass das Bild aufgrund von dem hohem öffentlichen Druck von der Ausstellung verdeckt und letzen Endes entfernt wurde, liegt zu großen Teilen an der rasenden Geschwindigkeit und der Vielzahl von Artikeln, die über die Thematik verbreitet wurden. Die folgenden Ausschnitte zeigen ausgewählte Berichte aus diversen Zeitungen.

Kunstfreiheit in Abgrenzung zur Meinungsfreiheit aus rechtlicher Prespektive

"Meinungsäußerungen drücken sich in Wort, Schrift oder Bild aus und können dabei antisemitische Stereotype enthalten. Ihre Grenzen sind weit gesteckt und müssen allgemeiner Art sein, dürfen sich also nicht gegen bestimmte Meinungen richten. [...] Erst wenn die Grenzen friedlicher Auseinandersetzungen überschritten werden, ist Schluss.[...] Kunstfreiheit eröffnet einen größeren Freiheitsraum als die Meinungsfreiheit. Anders als diese kann sie nicht schon durch allgemeine Gesetze Dritter, beschränkt werden. [...] Der größere Freiheitsraum hat zunächst zur Folge, dass es dem Staat (Gesetzgebung, Justiz, Kulturverwaltung) verwehrt ist, die Grenzen zwischen Kunst/Nicht Kunst [sic!] zu definieren. [...]" (verfassungsblog.de 2022)

Kunst – Was ist das?

Womöglich denken viele, so wie ich, bei dem Begriff an ein selbst geschaffenes halbwegs gelungenes Bild aus dem Kunstunterricht. Meine Lehrerin fand es eher so semi gut. Ich war ganz zufrieden mit meiner Arbeit. Es scheint also eine Frage der Perspektive zu sein, zumindest wie Kunst bewertet wird. Kann aber jemand sagen, was genau Kunst ist?

Es grenzt an eine Aufgabe der Unmöglichkeit. Kunst ist etwas schwer Definierbares. Vielleicht ist das das Kernelement der Kunst, Kunst ist etwas, was sich einer Definition entzieht oder immer anders definiert werden kann, abhängig davon wer es sich zutraut das beurteilen zu können. Kunst ist auf jeden Fall mit kreativer Freiheit verknüpft. Nur die Veröffentlichung und Verbreitung ist nicht frei. Die Kunst selbst bleibt davon aber unberührt. Vielleicht ist es die Freiheit, die Unabhängigkeit der Gedanken der Menschen, die in Kunst widergespiegelt wird, das was Menschen an Kunst faszinieren oder auch provozieren kann. Kunst ist der Ort an dem man frei denken kann. Kunst kann aber auch brutal sein. Kunst ist roh. Kunst bildet die Fassetten der Menschheit in einer der pursten und ehrlichsten Formen ab. Kunst ist ehrlich.

Wie es sich so häufig mit der Ehrlichkeit verhält, ist diese manchmal unbequem und so ähnlich verhält es sich auch mit der Kunst. Kunstwerke jeglicher Form, Songs, Bilder, Filme etc. werden aufgrund ihrer unterschiedlichen Deutungsweisen kritisch diskutiert und ob diese zensiert werden sollten oder in ihrer rohen und kompletten Form für die Öffentlichkeit zugänglich sein sollten.

In welcher Beziehung steht Kunst dabei zur Gesellschaft? Lüddemann sieht in ihr ein Netzwerk, bestehend aus Praktiken und die dazu in Bezug stehenden Objekten, Orten und Akteuren und nicht nur als ein System (vgl. Lüddemann 2021: IX).

Dies ist schön an dem Beispiel um die Gruppe „Taring Padi“ zu erkennen. Die Gruppe wird nicht nur mit ihren Kunstwerken in Bezug gesetzt, sondern auch mit ihren Aktivitäten um die Kunst selbst herum, z.B. mit den mutmaßlichen Bestrebungen den Staat Israel boykottieren zu wollen. Die Gruppe wiederum setzt sich in ihrer Kunst, wie bspw. in „People’s Justice“ mit der Geschichte Indonesiens und den dazugehörigen Akteur:innen auseinander. Weiter seien die künstlerischen Strukturen, die die Kunst in der Moderne ausbildet, an die entsprechende Gesellschaftswirklichkeit angepasst (vgl. Schnell 2011: 654, zit. Nach vgl. Lüddemann 2021: IX). Hierbei stellt sich die Frage, inwiefern Zensur Einfluss auf künstlerische Strukturen nimmt und welche Folgen dies für die Gesellschaft hat. Kunst erweist sich als gesellschaftlich, indem sie zu einem Mittel für den „Vollzug von Gesellschaft“ (vgl. Luhmann 2008c: 142, zit. Nach Lüddemann 2021: IX) wird (vgl. Lüddemann 2021: IX). Doch was ist mit zensierter Kunst? Ist sie durch ihre Zensur als Mittel für den „Vollzug von Gesellschaft“ gehemmt? Oder wird sie nicht gerade durch ihre Zensur, zumindest in medialem Kontext, zu einem noch bedeutenderem Mittel?

Ein zentrales Element ist, dass sie als Ort der Aushandlungen dient:

„Dieses Verständnis von Kunst zielt darauf, sie als Erfahrungsraum, als Arena der Aushandlungen, als jenen Schauplatz zu sehen, an dem, entgegen aller Mythen vom einsamen Künstler oder einem Kunstbetrieb als Sonderwelt, eine neue Arbeit am Gemeinsamen des Sozialen geschieht.“ (Lüddemann 2021: IX).

Unter Einbezug dieser Sichtweise auf Kunst, sind Kunstwerke als künstlerisch verarbeitete Aushandlungsprozesse der Gesellschaft zu verstehen. Ihre Zensur ist damit nicht nur ein Verbot des Kunstwerkes, sondern auch des Diskurses, den das Kunstwerk thematisiert.

Kunst als Austragungsort gesellschaftspolitischer Auseinandersetzungen

Im Kontext der Kunstfreiheit und den Fällen, in denen sie eingeschränkt wurde, wird häufig auch von „Politischer Korrektheit“ oder „Cancel Culture“ gesprochen. Diese Schlagwörter beinhalten unter anderem die Kritik an der Einschränkung der Kunst- bzw. Meinungsfreiheit. (vgl. Schubert 2020: 1) Inhaltlich geht es in dem Konflikt um „eine wahrgenommene Einschränkung der öffentlichen Debatte und Kultur durch einen rigiden linken Moralismus.“ (Schubert 2020: 1). Mit einem Blick in die Vergangenheit stellt man fest, dass zu früheren Zeiten, wie etwa 1968, sich die linke Kritik gegen staatliche Zensuren wendete. Mittlerweile ist zu beobachten, dass die Kunstfreiheit und Meinungsfreiheit als Argumente von der konservativen Politiklandschaft genutzt werden. (vgl. Schubert 2020: 1) Die Kunstfreiheit sei Schubert zufolge dabei jedoch gar nicht zentral:

„UM DIE KUNST UND KUNSTFREIHEIT GEHT ES DABEI EIGENTLICH GAR NICHT, SONDERN SIE IST DER AUSTRAGUNGSORT GESELLSCHAFTSPOLITISCHER AUSEINANDERSETZUNGEN UM SEXISMUS, RASSISMUS UND TRANSPHOBIE.“

(Schubert 2020: 1)

Häufig geht es jedoch, wenn die Einschränkung der Meinungs- und Kunstfreiheit kritisiert wird, gar nicht wirklich um diese. Zunächst einmal sind die Kunst- und Meinungsfreiheit Abwehrrechte gegen den Staat. In vielen Fällen der Auseinandersetzungen rund um die beiden Freiheiten, tritt der Staat als Akteur nicht ein. (vgl. Schubert 2020: 1) Die Auseinandersetzung findet häufig durch andere Maßnahmen auf einer nicht-staatlichen Ebene (Schubert 2020: 2) statt (vgl. Schubert 2020: 2). Das Abhängen des Gemäldes auf der Documenta geschah beispielsweise aufgrund von öffentlichem Druck und nicht etwa durch eine gerichtliche Entscheidung. Sondern die entscheidenden Kriterien, die daran Einfluss nehmen sind Normierung und Regulierung und letztlich damit Macht (vgl. Schubert 2020: 2).

„DIE GENANNTEN PHÄNOMENE SIND TEIL VON EMANZIPATIVEN NEUREGELUNGEN DER HERRSCHENDEN NORMEN MIT DEM ZIEL EINER WENIGER SEXISTISCHEN, RASSISTISCHEN UND HETERONORMATIVEN GESELLSCHAFT.“

(Schubert 2020: 2)

Eine Eigenschaft von Macht ist ihre nicht Sichtbarkeit und sie daher zu übersehen. Wenn mit Kunstfreiheit argumentiert wird, werde Schubert zufolge häufig damit argumentiert, dass bei der Regulation von Kunst Macht keinen Einfluss haben solle. (vgl. Schubert 2020: 2) Jedoch sei „die Kunst immer schon von Macht durchzogen [ist], weil in ihr gesellschaftliche Normen reproduziert und verhandelt werden.“ (Schubert 2020: 2). Es handelt sich also demnach bei der Frage, welche Künstler:innen welche Kunst zeigen dürfen gleichzeitig auch um eine Machtfrage um den Diskurs und wer diesen entscheiden beeinflussen darf.

MACHT: „M. IST EIN POLITISCH-SOZIOLOGISCHER GRUNDBEGRIFF, DER FÜR ABHÄNGIGKEITS- ODER ÜBERLEGENHEITSVERHÄLTNISSE VERWENDET WIRD, D.H. FÜR DIE MÖGLICHKEIT DER M.-HABENDEN, OHNE ZUSTIMMUNG, GEGEN DEN WILLEN ODER TROTZ WIDERSTANDES ANDERER DIE EIGENEN ZIELE DURCHZUSETZEN UND ZU VERWIRKLICHEN (M. WEBER). M. KANN VON PERSONEN, GRUPPEN, ORGANISATIONEN (PARTEIEN, VERBÄNDEN (VERBAND/VERBÄNDE), BEHÖRDEN) BZW. DEM STAAT AUSGEÜBT WERDEN ODER VON DEN GESELLSCHAFTLICHEN (WIRTSCHAFTLICHEN, TECHNISCHEN, RECHTLICHEN, KULTURELL-RELIGIÖS GEPRÄGTEN) STRUKTUREN AUSGEHEN.“

(BPB.DE O.J.)

Was ist Zensur und was bewirkt sie?

Nach Prisching (vgl. 2020: 7) funktioniert die Gesellschaft im wesentlichen auf der Basis von Kommunikation und Information. Sie ist ein Organismus bestehend aus Signalen, Informationen, Bildern, Filtern, Kanälen und Anweisungen durch die das System in Betrieb gehalten wird. Alle laufenden Prozesse in der materiellen Welt sind abhängig von einem konstanten Fluss von Information und Kommunikation. (vgl. Prisching 2020: 7) Die Wichtigkeit von Information und Kommunikation für die Gesellschaft hat die folgenden Konsequenzen:

ZENSUR IST EINE (1) IN DER REGEL VON AUTORITATIVER (MEIST STAATLICHER) STELLE VORGENOMMENE (2) ÜBERPRÜFUNG UND KONTROLLE VON DRUCKWERKEN UND ANDEREN ÄUßERUNGSFORMEN, (3) DIE IRGENDEINE ART VON ÖFFENTLICHKEIT ERREICHEN, (4) IM HINBLICK AUF IHRE GESETZLICHE, POLITISCHE, SITTLICHE, SOZIALE UND/ ODER RELIGIÖSE KONFORMITÄT; (5) IM NORMALFALL MIT DER FOLGE EINER GENEHMIGUNG ODER EINES VERBOTES DER ENTSPRECHENDEN ÄUßERUNGEN ODER ANDERER FORMEN DER INFORMATIONSSELEKTION [HERVORHEBUNG IM ORIGINAL].“

(Prisching 2020: 9)

Das heißt, dass die Kunst als Medium von Informationen mehr oder weniger immer darauf zusteuert in einen Konflikt zu geraten. Sie ist nicht nur ein Ausdrucksmittel, sondern auch ein Schauplatz von Herrschaftskämpfen. Hinsichtlich der Documenta lässt sich somit sagen, dass sie als „bedeutendste Ausstellung zeitgenössischer Kunst weltweit“ (Kassel.de) die aktuellen Herrschafts- und Machtverhältnisse widerspiegelt bzw. an welchen Stellen ein Kampf, vor allem auch gesellschaftlich, stattfindet.

„DENN WENN DIE KOMMUNIKATIVEN PROZESSE DAS ESSENZIELLE DIESER GESELLSCHAFT, IHRER KONFIGURATIONEN UND PROZESSE AUSMACHEN, WERDEN SIE ZU DEN ENTSCHEIDENDEN STELLEN VON KONFLIKT UND KAMPF, VON HEGEMONIE UND HERRSCHAFT, VON LEISTUNG UND TERROR, VON ERLAUBNIS UND VERBOT.“

(Prisching 2020: 8)

Weiter geht es bei Zensur unteranderem auch um Informationszugänge, den Zugriff auf Daten und das verbotene und gebotene Mitteilen. Denn auf Grundlage dieser Mittel wird die Gesellschaft reguliert, stabilisiert und definiert. (vgl. Prisching 2020: 8) Zensur ist in dem Kampf um Information ein altbekanntes Mittel. Doch auch in spätmodernen Kommunikationsgesellschaften ist sie immer noch aktuell. (vgl. Prisching 2020: 8) Mittlerweile hat die Zensur mit Hinblick zur gewonnenen Informationsfreiheit eine andere Erscheinungsform angenommen. Die aktuelle Diskussion um Zensur dreht sich häufig um Auseinandersetzungen im Netz, wie etwa auf Facebook. Dabei stehen Vorwürfe im Raum, dass Facebook zu wenig zensieren würde. Die Kernpunkte der Diskussion sind zum einen das Vermeiden von Zensur und zum anderen ein „hinreichendes Maß erwünschter Zensur“ (Prisching 2020: 8) zu errichten. (vgl. Prisching 2020: 8) Dies ist jedoch eine widersprüchliche Angelegenheit:

„ZENSUR ZUR SICHERUNG DER FREIHEIT – EINE PARADOXE SACHE.“

(Prisching 2020: 8)

Ähnlich verhält es sich bei der Diskussion um „People’s Justice“. Zwar gibt es gute Gründe, das Bild aufgrund der antisemitischen Lesart und der historischen Vergangenheit Deutschlands nicht auf der Documenta auszustellen, nichtsdestotrotz wird damit ein wichtiges demokratisches Grundelement beschnitten und es wird das gleiche Mittel, wie in totalitären Gesellschaften angewendet.

Mit der gestiegenen Sensibilität gegenüber sagbaren und nicht-sagbaren Äußerungen ist das Phänomen der sozialen Zensurierung aufgekeimt (vgl. Prisching 2020: 8). Dieses bewährt sich als brauchbares Mittel der Zensur, indem alle Akteure an der Disziplinierung von Gedanken und Äußerungen teilnehmen. (vgl. Prisching 2020: 8) Problematisch ist dabei, dass es zu einer Verschiebung hin zur sozialen Kontrolle kommt, eine Zensur durch Mitmenschen, die neue Tabuisierungen „in einer vermeintlich tabulosen Gesellschaft“ (Prisching 2020: 8) entstehen lässt (vgl. Prisching 2020: 8). In diesem Zusammenhang wird häufig von Cancel Culture gesprochen. Die hinter dem Begriff stehenden Auseinandersetzungen um Ausdrucksformen stehen jedoch nicht nur für den Kampf um die Sprache, sondern um allgemeine Herrschaftsverhältnisse. Die Tatsache, dass das Bild der indonesischen Künstler:innengruppe aufgrund des öffentlichen Drucks und nicht wegen juristischen Sanktionen entfernt wurde, zeigt, dass das Phänomen der sozialen Zensurierung sehr präsent ist.

Der Definition von Zensur (siehe oben) zufolge können Inhalte nur zensiert werden, wenn sie in die Öffentlichkeit geraten. Durch die technischen Entwicklungen können heutzutage nicht mehr nur beispielsweise Künstler:innen oder Schriftsteller:innen öffentlich äußern, sondern alle Menschen haben mehr oder weniger Möglichkeiten sich öffentlich zu artikulieren. Zensur kann demnach alle betreffen. Durch die allgegenwärtige Öffentlichkeit „ist auch der Kampf um Information (und die Möglichkeit – aus der Sicht mancher: die Notwendigkeit – von Zensur) überall. (vgl. Prisching 2020: 13)

Häufig wird hinsichtlich zu Zensur mit der staatlichen Verantwortlichkeit für öffentliche Gelder argumentiert.

„WENN STEUERGELDER FÜR KULTURELLE LEISTUNGEN VERWENDET WERDEN, DIE DER MEHRHEIT DER BEVÖLKERUNG ZUWIDER SIND, WENN IN SOLCHEN FÄLLEN BEISPIELSWEISE SUBVENTIONIERUNGEN GESTRICHEN ODER AUFFÜHRUNGEN/AUSSTELLUNGEN UNTERSAGT WERDEN, DANN KÖNNE DAS NICHT ALS ZENSUR BETRACHTET WERDEN, SONDERN ALS AUSDRUCKS DES POLITISCH-KULTURELLEN AUFTRAGS DER BÜRGERINNEN UND BÜRGER AN DIE POLITIK.“

(Prisching 2020: 14)

Begründet wird Zensur in diesen Fällen oftmals mit dem Gemeinwohl oder einer öffentlichen Moral (vgl. Prisching 2020: 14). Die Tatsache, dass das Bild bereits mehrere Male zuvor ausgestellt wurde und erst dessen Ausstellung in Deutschland zu einem Skandal führte, verdeutlicht die historische und moralische Verantwortlichkeit Deutschlands in Bezug auf den Holocaust. Mit diesem Hintergrund ist klar, dass der Entscheidungsspielraum des Umgangs mit dem Gemälde relativ klein ausgefallen ist.

„Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“ (Danger Dan)

Doch trotz aller Tendenzen zur Zensur ermöglicht die Kunstfreiheit immer noch einen Spielraum für Künstler:innen. In 2021 hat dies der Rapper „Danger Dan“ mit seinem Song „Das ist alles von der Kunsfreiheit gedeckt“ demonstriert. Darin spricht er sich ausdrücklich gegen rechte Führungspersönlichkeiten, unter Berufung auf die Kunstfreiheit, aus (vgl. Deutschlandfunk.de). Auf sehr geschickte Weise spielt er innerhalb des Rahmes der Kunstfreiheit, was anhand folgender Auszüge des Songtextes zu sehen ist.

"Also jetzt mal ganz spekulativ
Angenommen, ich schriebe mal ein Lied
In dessen Inhalt ich besänge, dass ich höchstpersönlich fände
Jürgen Elsässer sei Antisemit" (Danger Dan 2021)

Zur Einleitung singt er, dass er etwas „ganz spekulativ“ annehme. Damit deutet er daraufhin, dass das was darauf folgt nur eine Mutmaßung ist, jedoch keinen Wahrheitsanspruch hat. Durch die Verwendung des Konjunktivs baut er sich zusätzlich ein Sicherheitsnetz, dass seine Aussagen abdämpfen. Mit der Meinung, die er kundtut, dass Jürgen Elsässer Antisemit sei, kratzt er förmlich an den Grenzen der Kunstfreiheit.

"Und angenommen, der Text gipfelte in ei'm
Aufruf, die Welt von den Faschisten zu befreien
Und sie zurück in ihre Löcher reinzuprügeln noch und nöcher
Anstatt ihnen Rosen auf den Weg zu streuen" (Danger Dan 2021)

An dieser Stelle des Textes ruft er, wieder nur in der Theorie durch den Konjunktiv, zur Gewalt gegen Faschisten auf.

Hierbei wird deutlich, dass der Rahmen der Kunst- bzw. Meinungsfreiheit relativ groß ist. Gewisse Aussagen wirken sehr provokativ, sogar gewaltbereit, trotzdem fallen sie unter den Schutz der Kunstfreiheit. Das Lied kann mehr oder weniger als Index dafür gesehen werden, dass sich der demokratische Grundrechtsschutz in diesem Fall in einem funktionsfähigen Zustand befindet.

Fazit

Die Kunst gilt als besonders schützenswertes Gut der Gesellschaft. Sie fungiert gesellschaftlich als kreative Plattform, aber darüber hinaus dient sie ebenfalls als Austragungsort für gesellschaftliche Kämpfe um Herrschaftsverhältnisse und Macht über den Diskurs. Sie selbst und der Diskurs über sie kann daher als Indikator für gesellschaftspolitische Tendenzen betrachtet werden. Die beiden Beispiele haben gezeigt, dass es momentan sowohl den gesellschaftliche Drang nach Zensur zu geben scheint als auch nach Auslebung der Bestehenden künstlerischen Freiheit. In modernen Gesellschaften ist Zensur mittlerweile wieder ein beliebtes Mittel geworden. Jedoch findet sie eher auf der Ebene der gegenseitigen sozialen Kontrolle statt, als dass sie von staatlicher Seite durchgesetzt wird. Fraglich ist, inwiefern dies nützlich für den Diskurs ist und welche langfristigen Folgen dies für die Gesellschaft hat. Die Kunst kann förmlich als Bühne für die Aushandlung um grundlegende demokratische Freiheiten betrachtet werden.

„KUNST KENNT KEINE SIEGER, ALSO BRECHE ICH DIE VERANSTALTUNG ERGEBNISLOS AB.“

(Schlingensief 2005: diepresse.com)

Literatur

bpb.de (o.J.), Das Politiklexikon: Macht, o.A., https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/politiklexikon/17812/macht/, letzter Zugriff: 19.10.22.

daserste.de (2022), Der Skandal um Antisemitismus auf der Documenta, 26.06.22, https://www.daserste.de/information/wissen-kultur/ttt/die-documenta-ist-nicht-antisemitisch-bis-zur-eroeffnung-100.html, letzter Zugriff: 19.10.22.

daskreativeuniversum.de (2019), 24 Joseph Beuys Zitate und Aussagen zu Politik, Gesellschaft und Kunst, 11.05.2019, letzter Zugriff:19.10.22.

deutschlandfunk.de (2021), Politische Kampfansage gegen Neue Rechte, 29.03.2021, https://www.deutschlandfunkkultur.de/danger-dans-das-ist-alles-von-der-kunstfreiheit-gedeckt-100.html, letzter Zugriff: 19.10.22.

diepresse.com (o.J.), Schlingensief: Zitate des Star-Provokateurs, o.A., https://www.diepresse.com/589186/schlingensief-zitate-des-star-provokateurs, letzter Zugriff: 19.10.22.

kassel.de (2022), o.T., o.A., https://www.kassel.de/buerger/kunst_und_kultur/documenta.php, letzter Zugriff: 19.10.22.

Lüddemann, Stefan (2021): Die neue Kunst der Gesellschaft: Kunst im Netzwerk der Praktiken. Wiesbaden: Springer VS.

Luhmann, Niklas (2017): Die Realität der Massenmedien. 5. Auflage. Wiesbaden: Springer VS.

Prisching, Manfred (2020), „Die Verbotsgesellschaft: Zeitdiagnostische Befunde zur Zensur“, Zeitschrift für Literatur- und Theatersoziologie, 2020, 16, S. 7-31.

Schubert, Karsten (2020), „Umkämpfte Kunstfreiheit – Ein Differenzierungsvorschlag“, Zeitschrift für Menschenrechte, 2020, 2, S. 195-204.

Tagesschau.de (2022), Böhmermann scheitert vor Verfassungsgericht, 10.02.22, https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/boehmermann-urteil-101.html, letzter Zugriff: 19.10.22.

verfassungsblog.de (2022), Die Documenta und die Grenzen der Kunstfreiheit, 19.07.22, https://verfassungsblog.de/die-documenta-und-die-grenzen-der-kunstfreiheit/, letzter Zugriff: 19.10.22.

Ein Projekt von

Hannah Rehberg
MA Human Rights Studies in Politics, Law and Society

im Wintersemester 2022/23.