„Was darf man heute eigentlich noch sagen?“

Ein Beitrag von Jule, Sarah & Johanna

Das Thema polarisiert. „Was darf man eigentlich heute noch sagen?“ ist ein Satz, den man immer häufiger hört. Nicht immer ist er als eine ernstgemeinte Frage gestellt: Oftmals ist die Frage rhetorisch und schwingt mit einem Funken Sarkasmus, einer abwehrenden Haltung oder auch einer Gesellschaftskritik mit. Es scheint, dass mittlerweile eine Art Reden im öffentlichen Raum und ein Reden, im privaten Raum existiert.Im Folgenden werden ein paar individuelle Stimmen hörbar, um in den kontroversen Diskurs einzuführen.

Warum dieses Thema?

https://pdf.focus.de/was-darf-man-eigentlich-noch-sagen.html

Wie in den auditiven Beiträgen zu hören, existieren viele unterschiedliche Perspektiven innerhalb der Gesellschaft. Dieser Beitrag hat zum Ziel, die Debatte aus verschiedenen Richtungen zu beleuchten. Hierzu wurden umfassende Recherchen, eigene Forschungen und Social Media Analysen durchgeführt. Um das Thema in seiner Gänze zu erfassen, werden Themenschwerpunkte wie Cancel Culture, Political Corrrectness, Debattenführungen auf Social Media und Wissenschaftsfreiheit dargestellt und analysiert.

Der provokante Titel des Beitrags mag den Anschein erwecken, dass man in seiner freien Meinungsäußerung eingeschränkt ist. Uns ist jedoch besonders wichtig, mit diesem Beitrag verschiedene Perspektiven aufzuzeigen und diesen Diskurs somit offenzuhalten. Dies beinhaltet zum Beispiel folgende drei Meinungen: 1. Alles kann gesagt werden, da Debatten davon leben und eine Akzeptanz gegenüber anderen Meinungen voraussetzen. 2. Alles kann gesagt werden, jedoch besteht die Gefahr, dass die Debatte frühzeitig von einer Seite beendet wird und persönliche Diffarmierung folgen kann. 3. Betroffene haben das Gefühl nicht mehr alles sagen zu können und somit in ihrer Meinungsäußerung eingeschränkt zu sein.

Ein Begriff, der oft in diesem Zusammenhang fällt, ist „Woke“. Menschen, die besonderen Wert auf Political Correctness legen und eine Rechtfertigung von Cancel Culture gut heißen, werden oft als „woke“ bezeichnet. Anschließend wird dieses Phänomen kurz erläutert.

„WOKE“ [wəʊk] having or marked by an active awareness of systemic injustices and prejudices, especially those related to civil and human rights

Die Aufmerksamkeit (Wachsamkeit) bzw. die Feinfühligkeit gegenüber Menschen von Minderheiten und Momenten von Diskriminierungen. Im Fokus der Wokeness-Bewegung stehen vor allem Themen wie Rassismus, Sexismus und ähnliche Diskriminierungen. Nicht selten wird der Begriff aber auch für vermeintlich allgemein strukturelle und politische Missstände benutzt.

https://www.dictionary.com/browse/woke https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.was-bedeutet-woke-mhsd.e98ad6e7-a8b7-42e8-aae7-7bb0563e0a36.html

Zentral für die Beleuchtung unseres Themas ist der Begriff Political Correctness. Es folgen weitere persönliche Stimmen, sowie ein Schaubild. Anschließend wird der Begriff theoretisch eingeordnet und durch ein empirisches Fallbeispiel greifbarer gemacht.

Political Correctness (PC)

Was darf man denn überhaupt noch sagen? Und was sollen diese vielen neuen Worte und Sternchen überhaupt bewirken?

https://rosa-mag.de/warum-wir-sprachliche-veraenderung-brauchen-und-political-correctness-trotzdem-problematisch-ist/
https://www.amazedmag.de/kolumne-political-correctness-macht-euch-mal-locker/


Zu Beginn der frühen 90er Jahren kam der Begriff Political Correctness in Deutschland auf. In großen Tageszeitungen wie beispielsweise „Die Zeit“ entstanden eher einseitige Political Correctness kritische Diskussionen über diese Unzulänglichkeit desTrends aus den USA. Der Ursprung in den USA seit den 70er Jahren setzte sich mit gesellschaftspolitischen Themen auseinander. Unter anderem ging es dabei um Fragen „Wie ist mit den Minderheiten in der Gesellschaft umzugehen, insbesondere mit der schwarzen Bevölkerung, mit den Indiandern, mit den Spanisch sprechenden Einwanderern?“ Oder „Wie können Diskriminierungen vermieden werden?“

https://www.bpb.de/themen/parteien/sprache-und-politik/42730/political-correctness-politische-korrektheit/

Für Political Correctness gibt es viele Definitionen. Eine davon ist aus dem Duden.

Einstellung, die alle Ausdrucksweisen und Handlungen ablehnt, durch die jemand aufgrund seiner ethnischen Herkunft, seines Geschlechts, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Schicht, seiner körperlichen oder geistigen Behinderung oder sexuellen Neigung diskriminiert wird.

https://www.bpb.de/themen/parteien/sprache-und-politik/42730/political-correctness-politische-korrektheit/

Eine andere Definition stammt von Dan Moller, University of Maryland:

Political correctness, as I will understand it, is the attempt to establish norms of speech (or sometimes behavior) that are thought to (a) protect vulnerable, marginalized or historically victimized groups, and which (b) function by shaping public discourse, often by inhibiting speech or other forms of social signaling, and that (c) are supposed to avoid insult and outrage, a lowered sense of self-esteem, or otherwise offending the sensibilities of such groups or their allies.

https://ora.ox.ac.uk/objects/uuid:40d31aed-1296-4dc6-b511-e7135b83ee8a/download_file?file_format=pdfsafe_filename=JPE0026-Moller-1.pdf&type_of_work=Journal+article

Eine Sprache die nicht ausgrenzen oder diskriminieren soll. Das hat sich Political correctness zum Ziel gesetzt. Wie kann dieses erreicht werden? Eine Möglichkeit ist das Streichen von Begriffen und Bezeichnungen. Am Beispiel „Zigeunersoße“, lässt sich die Spaltung der Meinung gut festhalten. Besonders in sozialen Netzwerken:

https://m.facebook.com/hr3/photos/a.134681039653/10158430662344654/?type=3&p=30

Weitere Merkmale von Political Correctness:

  • „Modewort“ für normgerechtes beziehungsweise nicht-abweichendes Verhalten
  • Meinungen der Pro und Contra Seite prallen aufeinander/emotional aufgeladen -> Rechthaberei
  • PC ist verbunden mit eigenem Ruf (Verbunden mit Cancel Culture), Ausgrenzung und Diskriminierung
  • Verwendung einer Sprache, die niemanden diskriminiert
  • nötig, da es einen gesellschaftlichen Wandel gibt und außerdem soll es eine Sensibilisierung gegenüber bestimmten Themen geben -> dadurch: Auseinandersetzung mit eigenem Sprachgebrauch

Was sich immer wieder einschleicht, wenn es um die PC Debatte, und gerade um das Streichen von Begriffen geht, ist der berühmt-berüchtigte whataboutism.

WHATABOUTISM

Argumentationstechnik, bei der man auf einen kritischen Vorwurf über ein Versagen mit einem Verweis auf ein Fehlverhalten oder einen Missstand auf der anderen Seite, zum Beispiel der des Gesprächspartners, verweist

https://de.wiktionary.org/wiki/Whataboutismus

„Und was ist mit …!?“ auch bezeichnet als „perfider Trick aus der Mottenkiste der Rhetorik“ gilt als Totschlagargument in Diskussionen. Gerade im Thema PC sind anhand der Taktik Dialoge oftmals schwierig. Jedoch lässt sich eine wichtige Frage der Methode für uns entnehmen: Wo ist denn nun die Grenze vom Streichen der Begriffe?

Übrigens

Wenn es um Political Correctness geht, geht es mit dem einhergehend auch um Sprachregeln und die Sorge um die Sprache. Es wird kritisiert, dass die Ersatzausdrücke meist länger sind als die Ersetzung. Außerdem ist eine politisch korrekte Sprache in vielen Fällen schwerer verständlich. Kritiker:innen machen ebenso auf die Vermeidung des generischen Maskulinums aufmerksam. Dadurch können sich sperrige Sätze negativ auf die Verständlichkeit des Textes auswirken oder zu absurden Formulierungen führen. Somit sollte  die Sprache zwar gerechter werden, aber nicht weniger verständlich. 

https://www.bpb.de/themen/parteien/sprache-und-politik/42730/political-correctness-politische-korrektheit/ 

Die folgende Darstellung basiert auf intensiven persönlichen Auseinandersetzungen und Gesprächen, sowie ausführlichen Online- und Literaturrecherchen zu dem Thema.

Pro Political CorrectnessContra Political Correctness
Positiver Ansatz gegen Diskriminierung -> Höflichkeit, Achtung und RespektFreiheitsbeschränkung (Recht auf Meinungsäußerung wird eingeschränkt)
Befürworter:innen eines solchen „politisch korrekten“ Sprachgebrauchs sehen in den zu vermeidenden Bezeichnungen Schimpfwörter, die es aus Respekt und Höflichkeit zu meiden gelteGibt keine Normen, somit schwierig abzustecken (wo fängt man an, wo hört man auf, zb. Straßennamen)
Geschlechtergerechte Sprache -> Frauen sichtbar machen, nicht nur die generische Maskulinform verwenden -> lieber neutrale Form verwendenSchafft Verlegenheit (Beispiel Zigeuner und Sinti und Roma)
Menschen die dagegen sind, sind meist nicht von dieser Diskriminierung  betroffenGelenkter, vorgegebener Sprachwandel wird von der Gesellschaft nicht angenommen
Begriffe löschen, um ihnen keine Plattform mehr zu geben„Nicht die Sprache, sondern das Denken ist stigmatisierend“ (Albert Busch, Professor am Seminar für deutsche Philologie in Göttingen)
Verbale EmpathieGeschichtliches Denken geht verloren beim Streichen von Begriffen

https://www.galileo.tv/life/political-correctness-was-der-begriff-bedeutet-und-warum-er-so-umkaempft-ist/

https://www.br.de/extra/respekt/political-correctness-diskriminierung-rassismus-100.html

https://www.focus.de/panorama/welt/panorama-deutsche-redewendungen-sind-oft-rassistisch-was-man-noch-sagen-kann_id_9444597.html

https://www.focus.de/wissen/mensch/philosophie/vom-neger-zum-afroamerikaner-drei-argumente-gegen-eine-politisch-korrekte-sprache_id_3696468.html

Eine Reaktion, die häufig auf ein Verhalten mangelnder Sensibilität in Bezug auf Political Correctness folgt, ist das sogenannte Canceln. Auch dazu gibt es verschiedene Meinungen, von denen zwei im folgenden Abschnitt zu hören sind.

Cancel Culture

Cancel Culture ist als feststehender Begriff in der öffentlichen Debatte immer häufiger und präsenter wahrnehmbar geworden. Aber was bedeutet es, wenn Menschen „gecancelt“ werden? Woher kommt dieser Begriff und was wollen Menschen erreichen, die andere canceln?

Cancel Culture wurden wahrscheinlich erstmalig Mitte der 2010er Jahre im englischsprachigen Raum von Twitter Usern genutzt und lässt sich aus dem Englischen mit Absage-, Lösch- oder Zensurkultur bezeichnen. Es dient als politisches Schlagwort, dem die systematische Bestrebung zugrunde liegt Personen und Organisationen sozial auszuschließen, weil man ihnen beleidigende, unanständige oder diskriminierende Handlungen vorwirft. Es geht also zumeist nicht einfach nur um harmlose Meinungsäußerungen, sondern vielmehr um Fragen sozialer Gerechtigkeit, Sexismus, Rassismus, Homophobie…

Cancel Culture stellt somit eine moderne Art des Prangers dar und findet vor allem in sozialen Medien statt, die im Vergleich zu anderen Medien einen Rahmen internationaler Reichweite bieten.

Cancel Culture richtet sich vor allem gegen diejenigen, die aufgrund ihres Geschlechts oder ihrer Hautfarbe als privilegiert gelten.
Allerdings wird der Begriff auch ambivalent, umstritten und negativ konnotiert gesehen in der Tradition der Auseinandersetzung mit Political Correctness.

https://www.die-debatte.org/debattenkultur-meinungsfreiheit-in-sozialen-medien/
https://www.cicero.de/weltbuhne/das-internet-stirbt-ohne-meinungsfreiheit/41321
https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.cancel-culture-mhsd.94d7459f-6f15-4323-bc6c-c6b758105099.html
https://de.wikipedia.org/wiki/Cancel_Culture

Durch die schnelle mediale Entwicklung auf verschiedenen Ebenen, ist eine Flucht vor den Folgen der Cancel Culture oft nicht mehr ohne Weiteres möglich.

Exkurs: Internet als Medium

Um zu verstehen, warum Cancel Culture und Political Correctness so kurzweilig und kontrovers in den sozialen Medien verhandelt werden kann, müssen einige Eigenschaften des Internets als Medium genannt werden, die dies ermöglichen bzw. erleichtern.

Susan Pointer sprach vom Internet als „ein von Natur aus globales, offenes und dezentrales Medium ohne Wächter.“

Das Internet bietet einen anonymen Raum, der folglich ein Sicherheitsproblem mit sich bringt, da man Menschen nur sehr schwer oder teilweise auch gar nicht zur Verantwortung ziehen kann. Das Internet ist sehr schnelllebig und bietet aufgrund nicht vorhandener nationalen und internationalen Grenzen ein schnelles Informationsangebot und Informationsaustausch.

Es bietet eine Echtzeitübermittlung von Nachrichten und Kommentaren und bietet asynchrone Kommunikation. Es dient als Massenverbreitung, da das Internet keine regionalen oder kulturellen Grenzen kennt. Dadurch können Debatten über Nachrichten entstehen, die große Reichweite haben.
Eine Gefahr dessen ist jedoch, dass sogenannte Underdogs erstarken können, da keine spezielle Position notwendig ist, um Aufmerksamkeit zu bekommen und sich Gehör zu verschaffen.

Eine Gefahr kann außerdem sein, dass neben Profis und Fachkundigen auch Laien Informationen produzieren, und die aufgrund schneller und unkomplizierter Verbreitung zu weitgestreuten Falschinformationen werden können.

In Bezug auf Cancel Culture sagte Dr. Edda Humprecht von der Universität Zürich: „Wir sehen, dass es eine Schweigespirale gibt, dass bestimmte Personen oder bestimmte gesellschaftliche Gruppen sich weniger in öffentliche Diskurse einbringen, weil sie die Befürchtung haben, dass sie dort angegriffen werden, weil sie eine andere Meinung vertreten.“

Debatten werden mittlerweile bestimmt von Denken in Identitäts- und Gruppenzugehörigkeiten. Dies verhindert folglich möglicherweise Diskussionen, Austausch und Erkenntnisgewinn.

https://de.economy-pedia.com/11031028-advantages-and-disadvantages-of-the-media
https://praxistipps.chip.de/digitalisierung-alle-vorteile-und-nachteile-der-entwicklung_101814

J.K. Rowling – Eine Fall-Analyse

J.K. Rowling ist eine Person, an der man die Auswirkungen und Folgen von Cancel Culture in sozialen Medien im Jahr 2020 besonders gut beobachten konnte. Durch den untenstehenden Beitrag hat sie ungewollt eine PC Debatte ausgelöst.

Ein Shitstorm brach über Rowling herein. Aber es ging noch weiter.

Mit dem Hashtag #IStandWithMaya sagte sie der Steuerberaterin Maya Forstater ihre Unterstützung zu, die ihren Job in Großbritannien verlor. Der Fall hatte für Aufsehen gesorgt, nach dem Forstater öffentlich kundgab, dass ihrer Meinung nach „Menschen nicht ihr biologisches Geschlecht ändern können“ und, dass „ein Mann, ein Mann bleibt, auch wenn er sich als Frau „definiert““. Rowling ist die wohl bekannteste Unterstützerin Fortstaters und setzt sich öffentlich dafür ein, dass es falsch ist, Menschen beispielsweise aus ihrem Job zu entlassen, wenn sie das biologische Geschlecht als „real“ ansehen.

J.K. Rowling setzte sich gegen das canceln ein. Und verfiel in folge dieser und einiger weiterer Tweets selbst der Cancel Culture zum Opfer. Wie lief das Canceln ab ?

  • Proteste vor ihrem Haus 
  • Veröffentlichung der Adresse 
  • Morddrohungen 
  • Verbrennung der Bücher 
  • Ausgeladen aus der 20-Jährigen „Harry Potter Reunion“
  • Harry Potter Schauspieler distanzierten sich öffentlich von ihr
  • Ein nach ihr benanntes Schulgebäude in England wurde umbenannt
  • Wird als „Terf“ bezeichnet

TERF [turf]
trans-exclusionary radical feminist: an advocate of radical feminism who believes that a trans woman’s gender identity is not legitimate and who is hostile to the inclusion of trans people and gender-diverse people in the feminist movement.

https://www.dictionary.com/browse/terf

Wie ging J.K. Rowling damit um?

Rowling erklärte sich in ihren Tweets, blieb ihrer Meinung treu und schrieb einen Open Letter. In diesem rechtfertigt Rowling ihre Meinung und äußert Bedenken, dass Frauenrechte angegriffen werden, wenn man Transfrauen inkludiert, zum Beispiel, indem Transfrauen die Frauen-Umkleiden benutzen dürfen. Dies wäre ein Angriff auf die Sicherheit.

https://www.latimes.com/entertainment-arts/books/story/2019-12-19/jk-rowling-transphobic-tweet

Der Fall und der Aufschwung Rowlings

Wie viele Unterstützer:innen Rowling verloren hat und wie viele ihre Harry Potter Fan-Zugehörigkeit nach Rowlings Äußerungen aufgaben, lässt sich in Zahlen nicht nachweisen. Jedoch sind ihre Bücher, so wie Filme nach wie vor einer der beliebtesten Weltweit.

Eigene Darstellung
Eigene Darstellung

Ein anderes Beispiel ist hier Xavier Naidoo. Nach seinen Statements zur Corona-Pandemie, seiner Verbreitung von Verschwörungstheorien wie von der QAnon- und Querdenker-Szene und der Verbreitung von Hass und Hetze, wurde er gecancelt. Und dies nicht nur in einer Bubble, sondern gesamt-gesellschaftlich. Er veröffentlichte am 19.04.2022 ein Video auf Youtube, in dem er sich entschuldigte und sagte, er sei vom richtigen Weg abgekommen.

„Identitätspolitik, zu eng definiert, ist eine Sackgasse, Identitätspolitik, grundlegender verstanden, ist einfach eine historische Tatsache und Selbstverständlichkeit.“

https://www.fes.de/themenportal-geschichte-kultur-medien-netz/artikelseite/identitaetspolitik

Xavier Naidoo, der in seiner Identität als Querdenker und Anhänger verschiedener Verschwörungstheorien „Politik“ betrieb, und J.K. Rowling in ihrer Identität als (nach ihren Worten) „Feministin“. Es stellt sich die Frage:

Sollten manche Identitätsgruppen kein Teil des öffentlichen Diskurses sein?
Gibt es Grenzen, um an Debatten teilzunehmen?
Ist das Canceln ein angemessenes Tool?
Und was macht das mit der Demokratie, die der inbegriff der Meinungsvielfalt ist?

Die folgende Gegenüberstellung fundiert auf lebhaften Diskussionen und Gesprächen, sowie ausführlichen Online- und Literaturrecherchen.

Pro CancelnContra Canceln
Meinungen die zum Beispiel Rassismus, Transphobie, Ausgrenzung und Hass beinhalten, sollte keine Plattform geboten werdenDialog ist das richtige Mittel. Andernfalls kommt kein Austausch und Erkenntnisgewinn zustande
Ein wichtiges Tool der Online-Kultur für MinderheitenEs bedroht die Kunstfreiheit/ Pressefreiheit
Die Angst vor dem „gecancelt werden“ führt dazu, dass mehr Überlegt wird, was man sagt
-> das soziale Bewusstsein ändert sich
Debattenräume werden eingeschränkt
 Meinungsfreiheit ist weiterhin gegeben – in Deutschland jede:r seine Gedanken frei äußernCanceln läuft oft auf perfide Weise ab
Cancel Culture werde als wichtiges Instrument gesehen, diskriminierendes Verhalten anzuprangern / zu kritisieren und Konsequenzen einzufordern
Steven Pinker: Cancel Culture ruiniere das Leben von unschuldigen Menschen &
jüngere Generation von Intellektuellen, Wissenschaftler:innen und Künstler:innen werde eingeschüchtert und würde sich nicht mehr trauen die eigene Meinung zu sagen
Man würde durch schnelles Feuern und Verleumnden von Leuten verlernen kollektiv Lösungen zu finden
Minderheiten, die sonst in öffentlichen Debatten keine Stimme haben, werden durch lautstark geführte Cancel-Debatten gehörtSoziale Anerkennung finde von Seiten der Kritiker:innen teilweise statt aber: es gehe Cancel Culture nicht darum offene Debatten zu führen und Behauptungen sachlich zu widerlegen sondern hauptsächlich darum, Menschen zu diskriditieren
Die Cancel-Debatten schärfen das Bewusstsein für Ungerechtigkeiten, decken Missstände in der Gesellschaft auf und thematisieren wichtige soziale FragenKontextlose Vorwürfe von Cancel Culture könnten den Begriff als „Kampfbegriff“ funktionalisieren um eine gesellschaftliche Polarisierung voran zu treiben
Debattenkultur ist nicht kaputt sondern sie ist so vielfältig wie noch nieAdrian Daub: Cancel Culture als moralische Panik: deutschsprachige Medien würden sich daran beteiligen ohne zu merken, wie sie zu Handlangern und Verstärkern ideologisch motivierter Realitätsverdrehungen werden
Cancel culture ist ein wichtiges Tool der onlinekultur für Minderheiten Verbindung zur Zensur
Gutes Ziel, auf Missstände aufmerksam zu machenMenschen werde Angst gemacht, sich öffentlich zu bestimmten Themen zu äußern
Man sollte da anknüpfen, dass ein shitstorm nicht immer als canceln abgestempelt werden muss. Der Umgang mit shitstorms sollten eher angegangen werden.
Nicht die besseren Argumente zählen hier mehr, sondern die Haltung und die richtige  Moral
Das Internet bietet eine Plattform, dass nun keiner mehr aus Debatten ausgeschlossen istCancel Culture wird zum Problem wenn das Canceln auf Basis von Vermutungen oder Gerüchten basiert und Menschen dann ernsthafte Konsequenzen drohen

https://www.die-debatte.org/debattenkultur-meinungsfreiheit-in-sozialen-medien/
https://www.cicero.de/weltbuhne/das-internet-stirbt-ohne-meinungsfreiheit/41321
https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.cancel-culture-mhsd.94d7459f-6f15-4323-bc6c-c6b758105099.html
https://de.wikipedia.org/wiki/Cancel_Culture

Die oben genannten thematischen Analysen mögen suggerieren, dass man nicht mehr alles sagen kann ohne mit Konsequenzen rechnen zu müssen. Dies kann jedoch zu einer einseitigen und undifferenzierten Betrachtung des Diskurses führen. Einer, der die Offenheit des Diskurses für unabdingbar hält, ist Timothy Garten Ash.

Der Historiker, Publizist und Schriftsteller Timothy Garten Ash war in Bezug auf die oben genannten Möglichkeiten und Herausforderungen von Cancel Culture der Meinung, dass es wichtig wäre zu lernen auszuhalten. Auszuhalten, wenn das Gegenüber eine andere Meinung vertritt als man selbst. Auszuhalten, dass die Diskursgenese offen gehalten wird. Auszuhalten, dass Unterschiede vorhanden sind und diese auch zunehmend sichtbar werden. Ash ist der Meinung, dass es wichtig sei die Differenzen anzusprechen und diese auszuhalten und sich dadurch möglicherweise ein „dickes Fell“ anzulegen und robuster in Diskussionen um Meinungsverschiedenheiten zu werden.

Timothy Garten Ash, 2011,

Auf die Offenheit des Diskurses legt insebesondere auch die Wissenschaft wert.

In diesem Teil unseres Projekts gibt es einen kleinen Exkurs in das Feld der Wissenschaftsfreiheit. Auch in diesem Zusammenhang kommt es vor, dass es zum „Canceln“ kommt. Doch wie kann das sein, wenn doch die Wissenschaftsfreiheit als Grundrecht im Grundgesetz steht und sich jede:r Wissenschaftler:in darauf berufen kann? Beschneidet die „Cancel Culture“ die Freiheit der Wissenschaft?

Die Wissenschaftsfreiheit umfasst einen geschützten Freiraum. In diesem sind das Auffinden von Erkenntnissen, die deutung dieser und die Weitergabe eingeschlossen. Somit besitzt jede:r Wissenschaftler:in eine "absolute Freiheit von jeder Ingerenz öffentlicher Gewalt". 

Die Grundrechte gewähren außerdem einen autonomen Freiraum. Deshalb wird die Freiheit der Lehre eingeschlossen. Durch diese Freiheit werden Staat und Hochschuleln geschützt, indem Gebote und Verbote mit einem Blick auf Kernbereiche der Lehre untersagt. Festgeschirben ist das in Art. 5 III GG.

Die Auswahl der Literatur ist frei, frei auch um die Aufgabe der Wissenschaft zu erfüllen - nämlich das Auslösen von Irritationen.

Durch Art. 5 III GG schreibt außerdem fest, dass die freie Wissenschaft vor Dritten durch den Staat und die Hochschulen geschützt werden. 

Doch auch die Lernfreiheit kann an ihre Grenzen stoßen. 
"Eine gemäßigte Wissenschaft könnte allzu leicht in eine mäßige Wissenschaft umschlagen. Es gehört zur Eigengesetzlichkeit der Wissenschaft, die unteilbare Wahrheit kompromisslos - ohne Rücksicht auf gesellschaftliche oder politische Akzeptanz - zu erforschen und unverfälscht auszusprechen." (Zitat VG Berlin)

Somit kann nun auch die Wissenschaftfreiheit durch andere Grundrechte eingeschränkt werden. Neben dem Schutz der Menschenwürde (Art. 1 I GG) spielt in diesem Fall auch das Allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art 2 I GG j.Vm. Art 1 I GG) eine Rolle.

Was gibt es also nun für Möglichkeiten die Wissenschaftfreiheit zu sanktionieren?
Im härtesten Fall, wenn also die Menschenwürde Einzelner verletzt wird, darf mit Mitteln des Strafrechts sanktioniert werden.
Gibt es bestimmte Formen von Inhalten oder der Form der Lehre gibt es die Möglichkeit auf andere Dozent:innen zurückzugreifen, die die Forderungen erfüllen. 

Doch in manchen Bereichen kommt auch das Recht an seine Grenzen. So gibt es zum Beispiel kein Recht auf die Nichtäußerung von Meinungen, die einem womöglich jedoch widerstreben. 
Außerdem ist es möglich nach Literaturlisten zu fragen, jedoch darf man diese Wünsche nicht einseitig durchsetzen. Aus diesem Grund ist die Uni kein Schutzraum, somit werden Kritik und Proteste nicht ausgeschlossen. 
Wichtig ist zu erwähnen, dass das Grundgesetz das Recht schützt, sich selbst zu äußern und die eigenen Positionen zu vertreten. Wovor es einen jedoch nicht schützt, ist das Recht, dass andere sich nicht äußern, andere Positionen nicht vertreten werden oder dass man von abgelehnten Positionen verschont bleibt. Stattdessen wird der Idee eines Cancel-Grundrechts durch die Verbürgerung der Äußerungsfreiheit erteilt.

Festzuhalten ist abschließend, dass die Redefreiheit im akademischen Bereich strikt gilt und nicht verhandelbar ist. 

https://www.forschung-und-lehre.de/recht/beschneidet-cancel-culture-die-wissenschaftsfreiheit-4237

Bedroht die Cancel Culture unsere Rede- und Meinungsfreiheit? Sind wir eingeschränkt in unseren Ansichten und Äußerungen oder regt die Debatte zu sozialem Bewusstsein und somit zu weniger Ausgrenzung an?
Ist die Debatten-Kultur kaputt oder einfach nur so vielfältig wie nie zuvor?

Viele Fragen, die uns in aufregenden Zeiten begleiten. Dieser Beitrag hat gezeigt, wie kontrovers und vielfältig die Debatte auf verschiedenen Ebenen und an verschiedenen Orten – digital und analog – geführt wird.