Kinderbücher inmitten von Fantasie und politischer Korrektheit – Benötigen wir Political Correctness in der Kinderliteratur?

Eine aufgeheizte Debatte über politisch korrekte Sprachnormierung, Stereotype, Klischees, kulturelle Aneignung und Rassismus in der Kinder- und Jugendliteratur

Inmitten einer hitzigen Debatte darüber, was noch gesagt und was überhaupt nicht mehr gesagt werden darf, ist es ebenso wichtig, den Fokus der kritischen Sprachbetrachtung auf die Kinder- und Jugendliteratur zu richten. Populäre Kinderbücher wie „Die kleine Hexe“ von Otfried Preußler aus dem Jahr 1957 und Pippi Langstrumpf von Astrid Lindgren aus den Jahren 1945-1948 wurden demnach bereits politisch korrekt umgedichtet. Doch so wichtig es auch scheint, eine diskriminierende, stereotypische und rassistische Sprache aus den Büchern unserer Nachkommen zu verbannen, entsteht hingegen dazu der Widerstand gegen jegliche „Zensur“. Die Sorgen der Kritiker/-innen vor einer „Auslöschung“ der Vergangenheit und des kulturellen Erbes (Stefanowitsch 2018: 10), begleiten den Diskurs stetig und lösten eine Debatte über moralisch verwerfliche Formulierungen und Sprechverbote aus.

Doch weshalb ist es dennoch so wichtig, abwertende Sprachgebräuche aus den Kinderbüchern zu entfernen und sie mit neutralen Wörtern zu ersetzen?

Political Correctness meint einen Sprachgebrauch

„der durch eine besondere Sensibilisierung gegenüber Minderheiten gekennzeichnet ist und sich der Anti-Diskriminierung verpflichtet fühlt“

Wierlemann 2002: 12 zit. in Kilian, Niehr, Schiewe 2016: 38

Political Correctness legt den Fokus demnach auf die Bekämpfung von Bezeichnungen, die einen (ab)wertenden Charakter besitzen, als auch auf (ab)wertende Ausdrücke und Stigmata (ebd.). Zur Veranschaulichung dient hierbei das wohl bekannteste, stark diskutierte Beispiel der Bezeichnung einer Süßigkeit – und zwar die der Schaumküsse. Frühere Bezeichnungen wie „N~köpfe“, „N~kuss“ und zuletzt „Mohrenköpfe“ wurden demnach als politisch nicht korrekt eingestuft und verlangten nach Ersatzwörtern (vgl. ebd.). Und auch in den Kinderbüchern benötigte es eine Überarbeitung jeglicher, mittlerweile als politisch unkorrekt charakterisierte Bezeichnungen. Im, in Jahre 2013, umgedichteten Kinderbuch „Die kleine Hexe“, wurde somit aus zwei Kostümierten und als „N~lein“ bezeichnete, zwei „ethnisch unbestimmte“ Messerwerfer (vgl. Stefanowitsch 2018: 10). Ebenfalls kam es zu einer Überarbeitung der Pippi-Langstrumpf-Bücher, so wurde aus Pippis Vater dem „N~könig“, ein Südseekönig. Nun könnte darauf Bezug genommen werden, dass jene genannten Bücher zu einem Zeitpunkt verfasst worden sind, als es eben noch legitim war, solche Begrifflichkeiten zu verwenden.

„In Umbruchzeiten ändert sich die thematische Diskursstruktur – entweder, indem neue Themen den Diskurs bestimmen, oder indem Themen nicht mehr präsent sind, oder, indem sie modifiziert, präzisiert
oder aspektualisiert werden. Es ändert sich die Zusammensetzung der Diskursgemeinschaften. In Zeiten geänderter Machtkonstellationen sind diejenigen beteiligt, die zuvor ausgeschlossen waren.“

Heidrun Kämper 2011: 43

Jene Umbruchzeit nach Kämper (2011) wäre in diesem Fall die Zeit der Political Correctness und damit die Forderung, jegliche Art von Diskriminierung in Sprache und Schrift abzuändern und den Diskurs dahingehend zu lenken, mehr Bewusstsein über (versteckten) Rassismus in der Literatur zu entwickeln. Es handle sich darum „strukturelle sprachliche Ungleichheiten zu beseitigen“ (Stefanowitsch 2018: 62).

Klassiker mit diskriminierenden Sprachgebräuchen

Neben „Pippi-Langstrumpf“ und „die kleine Hexe“ wurden weitere Kinderbuchklassiker angeprangert. Hierzu eine kurze Veranschaulichung, welche Passagen als politisch nicht korrekt gelten:

  • Otfried Preußlers „Das kleine Gespenst“ 1966
    „Schade nur, dass die Leute immer gleich vor mir ausreißen! Aber wahrscheinlich liegt es daran, dass ich schwarz bin. Als ich noch weiß war, muss ich bedeutend harmloser ausgesehen haben als jetzt…”
  • Erich Kästner „Die Konferenz der Tiere“ 1949
    Das ist meine Überraschung! Meine kleine Freundin aus dem bengalischen Dschungel!‘ Er ließ sie sanft nieder. Sie stieg von ihm herunter und kam schwebenden Gangs auf den Negerjungen und das Eskimomädchen zu.“
  • Wilhelm Busch „Max und Moritz“ 1865
    „Rums!! – Da geht die Pfeife los/Mit Getöse, schrecklich groß./[…]/Als der Dampf sich nun erhob,/Sieht man Lämpel, der gottlob/ Lebend auf dem Rücken liegt;/Doch er hat was abgekriegt./Nase, Hand, Gesicht und Ohren/Sind so schwarz als wie die Mohren,…“

(Angelehnt an Bochmann/Staufer 2013: 3f.)

Doch auch Abbildungen und somit stereotypische, diskriminierende Verbildlichungen wurden teilweise abgeändert, wie das folgende Beispiel vorführt:

(Ein Screenshot aus dem Beitrag von Corinna Bochmann und Walter Staufer: „Vom „Negerkönig“ zum „Südseekönig“ zum …? – Politische Korrektheit in Kinderbüchern 2013: 7)
„Lurchis Abenteuer“ 2009 Comicfigur Feuersalamander „Lurchi“ des deutschen Schuhherstellers Salamander

Dass es sich nicht nur um Bezeichnungen wie das „N~Wort“ handelt, ist hierbei ganz klar. Sondern auch um Kulturüberheblichkeit (Preiswerk 1981 :28), Verharmlosung geschichtlicher Ereignisse und um vieles mehr.

„Man denkt, dass es nur um Worte wie Neger oder König der Neger [geht], ne, ne. Es geht um eine ganze Hierarchiebotschaft. Wo Schwarzafrikaner, wenn man die irgendwie analysiert als Menschen, sich ganz unten befindet.“

Autor unbekannt. Siehe Hübert 2011

Diskriminierende Formulierungen aus der Sicht eines betroffenen Kindes

„Nicht zuletzt deshalb wird einem mulmig zumute, wenn Vertreter der privilegierten Mehrheit doktrinär festhalten, dass durch Ausdrücke wie ‚Neger‘ oder ‚Zigeuner‘ „kein Mensch diskriminiert“ werde, „nur unsere Sprache verstümmelt“. Das Problem ist also möglicherweise tatsächlich nicht Preußlers „Negerlein“, sondern die Ignoranz gegenüber unserer sich verändernden Gesellschaft und das Aufwiegen von Menschenrechten gegenüber Autor- bzw. Textrechten.“

Veronika Schuchter 2013 Hegemoniale Debattenführung. Über die bedenkliche Art und Weise, wie auf die Entfernung diskriminierender Ausdrücke aus Kinderbüchern reagiert wird

Inmitten der gesamten Debatte um Political Correctness und der Frage, ob gewisse Formulierungen nun umgeändert werden sollen oder nicht, ist es doch von besonderer Relevanz, sich insbesondere in Bezug zur Kinderliteratur, mit den Reaktionen der Kinder zu beschäftigen. Schließlich liegt die Problematik darin, wie Schuchter (2013) bereits aufgegriffen hat, dass sich innerhalb der veränderten Gesellschaft nun mal nicht nur „hellhäutige“ Kinder / Personen befinden (sowie weitere diskriminierte Minderheiten). Die bekannteste Reaktion eines Kindes, ist die von der neun jährigen Ishema Kane. Mit einem Brief an die ZEIT, positioniert sich das junge Mädchen, welches sich als „Milchkaffee-braun“ beschreibt, deutlich zu der Verwendung von jenen Begrifflichkeiten wie dem „N~Wort“ – „Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie sich das für mich anfühlt, wenn ich das Wort lesen oder hören muss […]“

Hierbei wird einmal mehr deutlich, dass es eben einen Sinn ergeben kann, diskriminierende Wörter aus jenen Werken zu ersetzen oder gar wegzulassen. Es handelt sich hierbei nicht um den Versuch Meinungen zu verbieten, sondern allein der Versuch eine gerechte Sprache zu fördern. Es „wäre ein Zeichen, dass wir überhaupt Gleichheit wollen“ (Stefanowitsch 2018: 62). Im Fall von Ishema Kane würde es bedeuten, dass sie während des Lesens nicht auf Bezeichnungen stoßen müsste, die sie, ihre Familie, sowie weitere Personen diskriminieren würden. Dass allerdings nicht alle Menschen damit einverstanden sind, wird folglich erläutert.

Kritiker/-innen der Political Correctness in der Kinderliteratur

„Politisch korrekte Sprachverhunzung“ – Die Kritik an einer vermeintlichen „Zensur“

In Bezug auf bekannte Märchen, Gedichte und Kinderbücher, wird aufgrund der Umänderungen spezifischer abwertender Sprachgebräuche, ein „Rotstift“ in der Political Correctness gesehen (Stefanowitsch 2018:11) und stößt somit auf Uneinigkeit. Zunächst gilt grundsätzlich, dass Alltagssprachen lebendig sind und von neuen Subkulturen stets herausgefordert und modernisiert werden (Meiners 2005: 100). Doch wirkt es so, als wären Sprecher/-innen, stetig dem Verdacht auf Fremden-, Frauen-, Ausländerfeindlichkeit und der Verharmlosung des Nationalsozialismus (a.a.O.:99), ausgeliefert. Die Sorge, dabei in ein Fettnäpfchen zu treten und gesellschaftlich bestraft zu werden, ist daher nicht unbegründet.

„Inzwischen ergreift die meisten bei der Aussicht, als intolerante, vorurteilsbehaftete Menschen geoutet zu werden, ein hoffnungsloser Schauder, weswegen Third-Wave-Antirassisten immer am längeren Drücker sind, und zwar nur wegen dieser einen Waffe, über die sie verfügen“

John McWhorter 2022 Die Erwählten S. 33

Es bildet sich also schon fast ein Widerstand und die Sorge vor einem „Sprechverbot“ macht sich bemerkbar. Doch worauf beziehen sich jene Kritiker/-innen der Political Correctness? So wären mögliche diskriminierende Wortwahlen der Autor/-innen eben eine Wortwahl, die der damaligen Zeit entsprechen würde, weshalb somit nicht in das „sprachlich-literarische Gesamtkunstwerk“ eingegriffen werden darf (vgl. Stefanowitsch 2018:14).

„Wer der Ansicht ist, man dürfe Kunstwerke im Nachhinein verändern, weil sie der herrschenden Moral widersprechen, der wird sich gefreut haben, als die Taliban 2001 die Buddha-Statuen von Bamyian zerstörten.“

Jacques Schuster 2013 zit. in Schuchter 2013 Hegemoniale Debattenführung

An der Aussage Schusters in der WELT 2013, wird erneut verdeutlicht, wie mit stark emotionalisierten Vergleichen argumentiert wird. Auch dies ist mit der Sorge des Verlustes des kulturellen Erbes, verbunden. Des Weiteren wird sich um die deutsche Sprache insgesamt gesorgt (Stefanowitsch 2018: 16). So besteht auch die Kritik, dass sich hinter jenen sprachlichen Veränderungen eine „Art der Zensur und Einschränkung der Meinungsfreiheit“ (a.a.O.: 19), finden lässt. In Bezug auf die Umdichtung der Kinderliteraturen besteht insbesondere aus Sicht der Erwachsenen das Gefühl vom Verlust der Kindheitserinnerungen. Ebenso wäre es aufgrund des sprachlichen Wandels „ein Ding der Unmöglichkeit, Literatur auf einem sprachlich politisch korrekten Level zu halten“ (Schuchter 2013). Auch Ash 2016 (S.344) erläuterte hierzu, dass sich die sogenannte „Tabuschraube“ immer weiter dreht, aufgrund der immer größer werdenden Liste an Merkmalen der Personen, die vor Hassrede geschützt werden müssen. Er ergänzt in Bezug zur Redefreiheit weiter:

Wenn wir alles, was Menschen beleidigen kann, und alle Tabus aller Kulturen dieser Welt zusammenfassen und für unverletzlich erklären wollen, wäre kaum noch etwas übrig, worüber wir reden könnten“

Timothy Garton Ash 2016 Redefreiheit S.345

Am folgenden Fallbeispiel wird jene Kritik nochmals anhand einer aktuellen Debatte, mit Kommentaren aus den sozialen Medien veranschaulicht.

Fallbeispiel Winnetou und der Ravensburger Verlag

Jüngstes Beispiel für eine aufgeheizte Debatte Rund um das Thema Rassismus in Kinderbüchern stellt die ausgedachte Buch- und Filmfigur „Winnetou“ von Karl May aus dem Jahr 1892 dar. Winnetou wurde in jenen Büchern nach Karl May so beschrieben, so wie er sich einen „Indianerhelden“ zur damaligen Zeit vorstellen konnte. Doch besteht genau hier die Problematik, schließlich hat genau diese Darstellung nicht viel mit der tatsächlichen Wirklichkeit zu tun. Die Kritik bezieht sich somit auf den Umstand, dass hiermit falsche Vorstellungen von der tatsächlichen Lebenswelt der Indigenen, vermittelt werden. Auch die Verharmlosung der Historie und der Klischees, die somit an die nächste Generation weitergegeben werden, stehen in der Kritik. Die Debatte um eine Respektlosigkeit gegenüber den Indigenen oder doch um eine reine Fantasie wurde zudem populär, als ein bekannter Verlag sich dazu klar positionierte:

Screenshot (Jessica Pradella) Instagram „Statement“ Ravensburgerkinderbuecher (2022)

In diesem Statement, auf der Plattform Instagram, und dem Verweis auf jegliche Sensibilisierungen der Redakteur/-innen in Bezug auf „Diversität“ und „kultureller Aneignung“, sowie das Einsetzen von „Sensitivity Reader“, positioniert sich der Ravensburger Verlag, indem die Winnetou Bücher aus dem Verkauf genommen werden. Sie führen weiter fort:

Der Ravensburger Verlag reagierte somit auch auf Kritiker/-innen und ihren Forderungen jene Bücher vom Markt zu nehmen. Doch waren die Reaktionen auf die Zurücknahme der Bücher deutlich lauter und brachen in einem medialen Shitstorm aus.

Shitstorm

„bei dem es sich, grob gesagt, um eine in kurzer Zeit auftretende nicht oder
nur lose koordinierte Vielzahl empörter Äußerungen gegen eine einzelne Person
oder Organisation handelt“

Anatol Stefanowitsch 2019: 185

Folgende Darstellung soll verbildlichen, wie sich die Reaktionen auf Twitter von Beginn der Veröffentlichung bis zur Zurücknahme, entwickelt haben:

Demnach wurde der Shitstorm mit dem Hashtag „#Winnetou“ weitestgehend durch die Berichtserstattung der „BILD“ und der damit erlangten Bekanntheit befeuert, eine Art des „Social Heating“. Auch auf der Plattform Instagram lassen sich hierzu überwiegend negative Kommentare und Beiträge zu dieser Thematik finden, positive sind kaum bis gar nicht zu finden.

„Meinung oder Wille in der Arena, dort, wo direkte Reaktionen möglich sind, bestimmen sich über affektive Intensitätszonen, über das Gruppieren und Verstärken krasser Reaktionen, die die Leisen und Langsamen, die Zögerlichen und Zurückhaltenden verdrängen, zum Mitmachen provozieren oder gar zum Schweigen bringen“

Breljak 2019 Die Zeit der Datenmaschinen S.49

Weitere Screenshots zeigen die überwiegend gleichen Meinungen der User unter dem Statement des Ravensburger Verlages:

Screenshots (Jessica Pradella) Instagram Kommentare unter dem Statement des Ravensburger Verlages (2022)

„Streichen wir als nächstes Märchen, weil PETA nicht will, dass Frösche gequält werden?“

Anhand dieser Kommentare wird deutlich, wie sich das Meinungsbild gegen jegliche Umdichtungen oder in diesem Fall, gegen eine Zurücknahme der Kinderbücher, richtet. Die Sorge vor „Sprechverbote“ und einer „Zensur“ von Schrift und Sprache spielt in dieser Hinsicht, bei fast allen Kommentaren eine prägnante Rolle: „An alle politisch korrekten und Woken: Ihr habt keine Macht über meine Gedanken!“ Selbst der Vergleich zur „dunkelsten Zeit“ Deutschlands, dem Nationalsozialismus, wird in den öffentlichen Raum geworfen, was zugleich eine ungemeine Dramatik hervorhebt und daher auch die Sorge vor weiteren „Zensuren“: „[…], erinnert mich das an dunkelste Zeiten in Deutschland […]. So lässt sich Unmut erkennen, eine Unsicherheit: „soll es nur noch Bücher mit leeren Seiten geben? Das ist der sicherste Weg“. Und auch ein Unverständnis, weshalb Bücher nicht einfach Bücher mit Fantasie bleiben können: „Nehmt Bücher, als das was sie sein sollen Reisen in die Fantasie“

Mit Ash (2016) gesprochen, benötigt es eine Kombination von Offenheit und „robuster Zivilität“, ohne „Selbstzensur“ zu betreiben, um in der Lage zu sein, „freimütige und sogar anstößige Äußerungen der Differenz innerhalb eines größeren Rahmens ziviler Auseinandersetzungen zu ertragen“ (S. 323). Der öffentliche Austausch, als auch Ängste kundzutun, können daher wichtig sein, sodass der „Druck des öffentlichen Unausgesprochenen“ nicht wie in einem „Dampfkochtopf“ wächst (vgl. a.a.O.: 324).

Doch ist es nicht eher eine Frage der Moral? Sind wir nicht alle dafür verantwortlich, dass Rücksicht aufeinander genommen wird? So wie es die Geschichte bereits gezeigt hat, kann eine abwertende Sprache schließlich die Grundbasis für abwertendes Handeln schaffen (vgl. Stefanowitsch 2018: 63).

Gerechte Sprache und der Umgang mit diskriminierenden Bezeichnungen in der Kinderliteratur

Gerechte Sprache allein schafft noch keine gerechte Welt. Aber indem wir sie verwenden, zeigen wir, dass wir eine gerechte Welt überhaupt wollen.

Anatol Stefanowitsch 2018 Eine Frage der Moral. Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen.

Auch wenn Kinderliteraturen meistens der Fantasie entsprechen und den Autor/-innen bekannter Kinderbuchreihen zumindest nicht die Absicht unterstellt werden kann, rassistisches Gedankengut vorsätzlich in der Öffentlichkeit zu verbreiten und auch wenn Christine Nöstlinger (preisgekörnte Kinderbuchautorin) in Die ZEIT (2013) schrieb: „Der N~ bleibt ein N~“ und dazu, dass es keinen Sinn machen würde, „Wörter zu verhaften“, um somit eine „üble Gesinnung zu bekämpfen“, so sollte es jedoch nicht in Frage gestellt werden, welche Verantwortung jene Autor/-innen mit ihren Texten gegenüber Kinder haben. Diese sogenannte „Verantwortung“ ist deutlich höher, als die in der Erwachsenenliteratur (vgl. Schuchter 2013).

Während manche Personen diese Bezeichnungen, sofern sie noch vorhanden sind, als „Stolpersteine“ betrachten, um auf diesem Wege „Aufklärung“ zu schaffen, ersetzen andere wiederrum parallel beim Vorlesen jene Sprachgebräuche, wie folgendes Beispiel demonstriert:

Quelle: Youtube 2013: (895) Müssen Kinderbücher politisch korrekt sein? | Journal – YouTube [Abruf: 15.10. 2022]

Und auch die Native American Association of Germany e.V haben sich mit der Frage beschäftigt, wie der Umgang mit jener Kinderliteratur gehandhabt werden sollte. Hierzu schreiben sie folgendes Statement:

Bei den, vom Markt genommenen Büchern, handelt es sich jedoch nicht um einen historischen Roman mit Originalzitaten aus einer anderen Zeit, sondern um ein Buch für Kinder und diese jungen Leser und Leserinnen werden dann weiterhin ein Wort verwenden, dass aus der Kolonialzeit stammt und sich bis heute gehalten hat, obwohl es ein abwertender und beleidigender Begriff ist“

Carmen Kwasny Native American Association of Germany e.V 2022

Es gilt hierbei eher eine Sensibilisierung zu schaffen, um Sprache kritisch zu betrachten und möglichen versteckten Rassismus zu erkennen. Somit der Versuch, diskriminierenden Sprachgebräuchen entgegenzuwirken. Sodass insbesondere Kinder wie Ishema Kame beim Lesen der Kinderbücher nicht über diskriminierende Bezeichnungen stolpern müssen, ist es daher durchaus vonnöten, auf Political Correctness in der Kinderliteratur zu achten.

Die goldene Regel nach Anatol Stefanowitsch (2018: 24) könnte hierbei als Leitfaden fungieren:

„Stelle andere sprachlich nicht so dar, wie du nicht wollen würdest, dass man dich an ihrer Stelle darstelle“

Quellennachweis:

Ash, T. G. (2016): Redefreiheit. Prinzipien für eine vernetzte Welt. In: Carl Hanser Verlag.

Breljak, A. (2019): Die Zeit der Datenmaschinen. Zum Zusammenhang von Affekt, Wissen und Kontrolle im Digitalen. In: Mühlhoff, R./ Breljak, A./ Slaby, J. (Hrsg.): Affekt Macht Netz. Auf dem Weg zu einer Sozialtheorie der Digitalen Gesellschaft. In: Transcript Verlag. S.37-54.

Bochmann C., Staufer W. (2013): Vom „Negerkönig“ zum „Südseekönig“ zum …? – Politische Korrektheit in Kinderbüchern. Das Spannungsfeld zwischen diskriminierungsfreier Sprache und Werktreue und die Bedeutung des Jugendschutzes. In: BPJM-Aktuell 2/2013. S. 3-17.

Hübert, H. (2011): Südseekönig statt Negerkönig. In: Deutschlandfunk.de
Quelle: Südseekönig statt Negerkönig | deutschlandfunk.de [Abruf: 15.10.2022]

Kwasny, C. (2022): Soll Winnetou abgeschafft werden? In: Native American Association of Germany e.V. Building Bridges – Connecting People. Quelle: Soll Winnetou abgeschafft werden? (naaog.de) [Abruf: 17.10.22]

Kämper, H. (2011): Politische Wechsel – Sprachliche Umbrüche. Zum Verhältnis von Zeitgeschichte und Sprachgeschichte. In: Bock, B./Fix, U./Pappert, S. (Hrsg.): Politische Wechsel – sprachliche
Umbrüche. Berlin: Frank und Timme, S. 31-50.

McWhorter, J. (2022): Die Erwählten: Wie der neue Antirassismus die Gesellschaft spaltet. In: Hoffmann und Campe Verlag GmbH (Hrsg.).

Meiners, K.: Sprache und Politische Korrektheit. In: Thiele M. (Hrsg.): Konkurrenz der Wirklichkeiten
– Wilfried Scharf zum 60. Geburtstag. Göttingen: Universitätsverlag Göttingen 2005, S. 93–100.

Niehr T., Schiewe J., Kilian J. (Hrsg.) (2016): Sprachkritik. Ansätze und Methoden der kritischen Sprachbetrachtung (2. Aufl.) In: Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston.

Nöstlinger, C. (2013): Kinderbücher. „Der Neger bleibt ein Neger“. In: DIE ZEIT. Nr. 5/2013
Quelle: Kinderbücher: Der Neger bleibt ein Neger | ZEIT ONLINE [Abruf: 17.10.2022]

Renschler R., Preiswerk R. (Hrsg.) (1980): Das Gift der früheren Jahre. Rassismus in der Jugendliteratur. In: Lenos Verlag, Z-Verlag, Basel. Band 13.

Schuchter, V. (2013) Hegemoniale Debattenführung. Über die bedenkliche Art und Weise, wie auf die Entfernung diskriminierender Ausdrücke aus Kinderbüchern reagiert wird. In: literaturkritik.at
Quelle: https://www.uibk.ac.at/literaturkritik/zeitschrift/1093401.html [Abruf: 15.10.2022]

Stefanowitsch A. (2018): Eine Frage der Moral. Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen. In: Dudenverlag, Berlin.

Stefanowitsch A. (2019): Der Shitstorm im Medium Twitter. Eine Fallstudie. In: Marx, K./ Lobin, H./ Schmidt A. (Hrsg.): Deutsch in Sozialen Medien. Interaktiv – multimodal – vielfältig. – Berlin [u.a.]: de Gruyter, 2020. S. 185-214